IT-Dienstleister benötigen zum Erbringen von Topleistungen hoch qualifizierte und hoch engagierte Mitarbeiter und eine entsprechende (Führungs-)Kultur. Für die IT-Branche gilt: Die Kundenwünsche und -bedürfnisse ändern sich ebenso rasant, wie die technische Entwicklung voraneilt. Für IT-Dienstleister reicht es deshalb nicht, fachlich fit zu sein; sie müssen auch schnell und flexibel auf Veränderungen in ihrem Umfeld und bei ihren Kunden reagieren.

Vor fünf Jahren reifte aus den eingangs genannten Gründen bei der damaligen Geschäftsführung des ITSystemhauses ORBIT die Erkenntnis: Struktur und Kultur unseres Unternehmens müssen sich verändern. Denn wir wollen für unsere Kunden nicht nur ein ITDienstleister sein, der aufgrund seiner Fachkompetenz alle relevanten Facetten ihrer IT abdeckt, sondern auch ein Partner, mit dem sie gerne langfristig zusammenarbeiten. Dazu sind neben hoher Qualität und Zuverlässigkeit auch eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit und Innovationskraft notwendig. Diese Faktoren sahen die beiden damaligen Geschäftsführer beim Systemhaus ORBIT, das zur Detecon International GmbH, einem Unternehmen des Konzerns der Deutschen Telekom und der T-Systems International GmbH, gehört, nicht ausreichend entwickelt. Die Kultur war noch stark von einem Abteilungs- und Bereichsdenken geprägt, obwohl die kundenrelevanten Leistungen meist in einer Bereichsübergreifenden Zusammenarbeit erbracht wurden.

Kulturelles Change-Projekt gestartet

Typisch für die Führungskultur 2012 war, dass so manche Führungskraft ihre zentrale Aufgabe noch darin sah, selbst intensiv mitzuarbeiten, für Rücksprachen der zentrale Ansprechpartner zu sein und die Leistungen der Mitarbeiter zu kontrollieren und zu bewerten. Noch nicht etabliert war hingegen ein modernes Management, das primär auf die Rahmenbedingungen der Arbeit achtet und Arbeitshindernisse für die Mitarbeiter beseitigt. Zudem waren die Abläufe und Zuständigkeiten vielfach unklar und die Kommunikation zwischen Mitarbeitern und ihren Führungskräften nicht selten widersprüchlich. Dies hatte Einfluss auf die Fluktuation der Mitarbeiter: Die hoch qualifizierten und selbstbewussten Spezialisten hatten weder das Gefühl, ihr Potenzial entfalten zu können, noch, dass ihre Leistung wertgeschätzt wird. Entsprechend schlecht waren auch die Bewertungen im Arbeitgeberbewertungsportal kununu.

In dieser Situation entschieden die beiden damaligen Geschäftsführer, ein Change-Projekt zu starten – mit dem Ziel, eine Führungskultur zu schaffen, die dem modernen, innovativen ITDienstleister ORBIT entspricht. Als externen Unterstützer wählten sie das Institut für Sales & Managementberatung ifsm. Das vom ifsm propagierte Konzept der minimalen Führung entsprach den Vorstellungen der ORBIT-Geschäftsführer von der künftigen Führungskultur bei ORBIT. Minimale Führung zielt laut ifsm-Geschäftsführer Klaus Kissel darauf ab, mehr Entscheidungsbefugnisse auf die operative Ebene zu verlagern und die Kompetenz der Mitarbeiter systematisch zu steigern, „was mittelfristig zu einer Entlastung der Führungskräfte führt und zwar in dem Maße, wie ihre Mitarbeiter eigenständig neue Aufgaben übernehmen und Herausforderungen meistern können“.

Zu einer solchen Führungskultur gibt es, so ein Credo von Kissel, für Dienstleistungsunternehmen, die komplexe, kundenspezifische Leistungen erbringen, keine Alternative: „Nur so können die Unternehmen das Potenzial ihrer Mitarbeiter aktivieren und die Mitarbeiter auch emotional an sich binden. Und nur so können Unternehmen eine Aufwärtsspirale in Gang setzen, bei der die Kompetenz der Mitarbeiter und des Unternehmens kontinuierlich steigt.“

Führungsmaximen formulieren

Zu Beginn des Projekts interviewten ifsm-Berater ausgewählte ORBIT-ührungskräfte und -Mitarbeiter, um sich ein Bild von der Istsituation zu verschaffen. Die Ergebnisse der Interviews bestätigten weitgehend die Erkenntnisse der ORBIT-Geschäftsführer. Zudem zeigte sich: Auch die Mitarbeiter wünschten sich einen Wandel der Führungskultur und mehr Handlungs- und Gestaltungsfreiräume bei ihrer Arbeit. Was dies konkret bedeutet, definierten Führungskräfte und Mitarbeiter 2013 in einem Workshop zum Werte- und Führungsverständnis. Außerdem wurden Erfolgsfaktoren formuliert, an denen sich die Führung orientieren soll. Entschieden wurde: Der Fokus der Führungsarbeit soll darauf liegen, für die Mitarbeiter die Freiräume zu schaffen, die zur Entfaltung ihres Potenzials sowie zum eigenständigen Arbeiten erforderlich sind. Darüber hinaus sollen die Führungskräfte die Kompetenzentwicklung ihrer Mitarbeiter unterstützen. Als Erfolgsfaktoren für das Wachstum einer solchen Führungskultur gelten eine hohe Transparenz und Beteiligung der Mitarbeiter sowie regelmäßige Feedbackgespräche der Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern. An diesen Faktoren sollte die Qualität von Führung künftig gemessen werden. Um dies zu gewährleisten, wurden die Führungsfokusleitlinien und die dazu passenden Erfolgsfaktoren den damals 120 Mitarbeitern mitgeteilt. Parallel dazu wurden den Führungskräften – inklusive der Geschäftsführung – das entsprechende Verständnis und die erforderlichen Skills vermittelt, um die Mitarbeiter gemäß den formulierten Erfolgsfaktoren zu führen.

Führungskräfte entwickeln neues Selbstverständnis

Als Instrument hierzu diente die Kulturzwiebel des Organisationsanthropologen Geert Hofstede, dem zufolge es letztlich die gemeinsamen Grundannahmen, Werte und Normen sind, die das (Führungs-)Handeln in einer Organisation prägen (Abb. 1). Also müssen sich Unternehmen, die ihre (Führungs-)Kultur nachhaltig verändern möchten, auch intensiv mit dem Thema „Werte“ befassen.

Damit betrat das Unternehmen laut Aussagen des heutigen Geschäftsführers Andreas Baumann Neuland. Zuvor hatte es bei ORBIT keine Führungskräfteweiterbildung gegeben. Diese Weiterbildung ist laut Kissel jedoch als zentrale Säule des Prinzips der minimalen Führung unverzichtbar, denn: „Die Führungskräfte sollen sich wie ihre Mitarbeiter als Lernende begreifen und sich regelmäßig fragen, wie sie ihre Wirksamkeit in der Organisation, also ihre Performance, steigern können.“ Klaus Kissel erinnert sich noch gut an den Projektstart. „Am Anfang waren manche Führungskräfte und Mitarbeiter skeptisch – kein Wunder, man hatte ja jahrelang negative Erfahrungen gesammelt und in den Teeküchen geteilt“, berichtet er. Diese Skepsis konnte aber überwunden werden, unter anderem deshalb, weil die Geschäftsführung das neue Verhalten vorbildlich vorlebte.

Um das gewünschte Führungsverständnis und -verhalten in der Organisation zu verankern, finden bei ORBIT seit 2014 jährlich Seminare für Führungskräfte statt, auf denen das Führen von Mitarbeiter- und Feedbackgesprächen trainiert wird. Auch neue Führungskräfte werden entsprechend geschult. Bei sogenannten Supervisionssitzungen reflektieren die Geschäftsführung und die Bereichsleiter mit Klaus Kissel regelmäßig die Führungsstruktur und -kultur im Unternehmen. Zusätzlich definieren sie Fokusprojekte, die den langfristigen ORBIT-Zielen dienen.

Mitarbeiter wählen ihre Führungskräfte

Im zweiten Jahr des Projekts zeigte sich, dass nicht nur Werte, Rituale und Verhalten angepasst werden müssen, auch die Strukturen und die Organisationsform waren überholt. Starke Veränderungen an der Aufbauorganisation führen jedoch in Unternehmen fast immer zu Stress und Widerstand. Deshalb bestand die Gefahr, gerade gewonnenes Vertrauen zu zerstören, das jedoch nötig war, um eine neue schlanke Führungsstruktur – unter starker Beteiligung der Mitarbeiter – aufzubauen. Die Lösung, für die sich die Geschäftsleitung zusammen mit einer Projektgruppe entschied, war sehr einfach und für viele Mitarbeiter und Führungskräfte revolutionär. Bei ORBIT gibt es nur noch drei Führungsebenen: die Geschäftsführung, Bereichsleitung und Leitung der Competence-Center. Und: An Competence-Center-Leiterpositionen werden die Mitarbeiter stark beteiligt.

Zuvor wählte die Geschäftsleitung die Führungskräfte alleine aus, wobei die Kriterien fachliche Kompetenz und Anzahl der Dienstjahre entscheidend waren. Diese Kriterien sind immer noch wichtig, doch wer von den Bewerbern eine Führungsposition erhält, wird nun in geheimer Wahl bestimmt, und zwar durch ein Gremium, das sich aus Mitarbeitern, Betriebsrat und Geschäftsleitung zusammensetzt. Dies ist laut Kissel ein starkes Signal seitens der Unternehmensleitung an die Mitarbeiter. Die Botschaft dahinter lautet: „Wir wollen eine andere Art von Führung etablieren, und deshalb sind wir auf eure Mitsprache und euer Engagement angewiesen.“

Zugleich arbeitet das Unternehmen durch Teamentwicklungsmaßnahmen daran, die bereichsübergreifende Zusammenarbeit und Kommunikation zu stärken, beispielsweise beim „Bier um halb vier“. Mitarbeiter aller Unternehmensbereiche treffen sich hierbei freitags nachmittags bei einem Kaltgetränk zu einem Gedanken- und Meinungsaustausch, auch, um sich persönlich besser kennen zu lernen.

Mitarbeiter bewerten die Qualität von Führung

Um den Entwicklungsprozess voranzutreiben und zu evaluieren, wurde 2016 mithilfe von ifsm ein IT-gestütztes Führungsfeedback durchgeführt. Hier konnten die Mitarbeiter ein Votum abgeben, wie sie die Führung, gemessen an den Führungsfokussansätzen, einstufen. Dabei zeigte sich: Verglichen mit der Befragung zu Beginn des Projekts hat sich die Beziehung zwischen den Führungskräften und ihren Mitarbeitern verändert. Sie ist heute viel stärker als früher von Vertrauen und einem partnerschaftlichen Miteinander geprägt. Die Ergebnisse der Befragung wurden erneut publik gemacht. Zudem trafen sich ifsm-Berater mit den Führungskräften zu Coachinggesprächen über das Mitarbeiterfeedback. Im Bedarfsfall wurde dabei geklärt, wie konstatierte Mängel beseitigt werden können.

Neue Vision formuliert: „Unverkennbar Orbit“

2016 entwickelte ORBIT zudem intern die neue Vision „Unverkennbar ORBIT“. Diese Vision bezieht sich auf die Dimensionen Kunde, Positionierung, Führung, Unternehmenskultur, Personalentwicklung und Fokussierung. Dahinter verbirgt sich laut Andreas Baumann folgendes Ziel bzw. folgender Selbstanspruch: „Für unsere Kunden soll auf allen Ebenen der Zusammenarbeit mit ORBIT erfahrbar sein, dass wir anders als die meisten IT-Dienstleister sind. Kunden sollen ebenso wie die Mitarbeiter im alltäglichen Miteinander die Werte und Überzeugungen spüren, für die ORBIT steht – und zwar an vielen scheinbaren Kleinigkeiten, die letztlich jedoch den großen Unterschied ausmachen.“

Das setzt voraus, dass sich die ORBIT-Mitarbeiter regelmäßig vor Augen führen „Wofür stehen wir?“ und „Was ist uns deshalb bei unserer Arbeit, im Miteinander und im Kundenkontakt wichtig?“ Um dieses Bewusstsein zu schärfen, übernahmen einige Mitarbeiter freiwillig die Funktion der Visionsbotschafter: Als Mittler zwischen den Mitarbeitern fördern sie die Kommunikation über die verschiedenen Facetten und Implikationen der Vision. Mit den Botschaftern wird aktuell daran gearbeitet, die Vision des Unternehmens im Arbeitsalltag und im Kundenkontakt noch stärker erfahrbar zu machen.

Diese Weiterarbeit an den kulturverändernden Themen und Projekten ist Andreas Baumann sehr wichtig, obwohl er zugleich erklärt: „Die Kultur von ORBIT hat sich seit 2012 sehr verändert. Sie entspricht heute der eines modernen Dienstleisters, mit dem sich die Mitarbeiter stark identifizieren.“ Entsprechend gering ist die Mitarbeiterfluktuation.

Die positiven Entwicklungen, so Baumanns Credo, dürfen kein Anlass sein, stillzustehen und sich selbstzufrieden auszuruhen: „Das Wachstum unseres Unternehmens stellt uns gerade vor große neue Herausforderungen. Wir müssen schauen, dass die Organisation und die Strukturen kontinuierlich mitwachsen und immer wieder angepasst werden.“