Warum braucht es eine Utopie des Lernens?

„Man muss das Unmögliche versuchen, um das Mögliche zu erreichen“ Hermann Hesse

 Eine Utopie ist etwas, das in unserer Vorstellung oder auch unseren Wünschen existiert, aber noch nicht Wirklichkeit ist. Das Denken in Utopien führt weg von starren Denkmustern und Denkgrenzen und eröffnet so einen lebendigen Raum der Möglichkeiten. Utopisches Denken ist also fast schon – ein freies Spinnen, dass eher zu einer erkenntnisvollen Gegenwart führen wird, als wir glauben. Der deutsche Philosoph Ernst Bloch bringt es auf den Punkt mit dem Satz: „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen!“

Die vorherrschenden Lern-Denkmuster vieler Unternehmen kann man ungefähr so beschreiben:

„Wir fahren auf Sicht, beschäftigen uns mit den Dingen, die wir direkt beeinflussen können und beschäftigen uns mit neuen Geschäftsmodellen. Doch dieses Denken hat nicht dazu geführt, zu lernen, was für die Zukunft in einer immer komplexeren Welt wichtig und überlebensnotwendig ist.

Man kann Lernen, um die Gegenwart zu bestehen oder zu überleben, man kann aber auch Lernen, die Zukunft zu gestalten. Dazu braucht es utopisches Denken.

Um Unternehmen bei der Suche nach Ihrer Utopie des Lernens zu unterstützen, hat das ifsm-Team, gemeinsam mit seinem unabhängigen, wissenschaftlichen Beirat, eine Utopie des Lernens für Organisationen erarbeitet.

Diese Utopie des Lernens mag den Eindruck eines linken Ökomanifestes erwecken, soll aber zu „echter“ und nachhaltiger Zukunftsfähigkeit unter Berücksichtigung gesellschaftlicher Verantwortung und Umwelt führen.

Die erarbeiteten Axiome unterstützen Organisationen dabei, Denkmuster wie z. B. „Wirtschaftswachstum = alleiniger Maßstab für Zukunftsfähigkeit“ so verändern zu können, dass es nicht nur die Zukunft des Unternehmens, sondern im besten Fall auch die, der Gesellschaft sichert. Die Axiome dienen dabei als Richtungsweiser, um der eigenen Organisations-Utopie näher zu kommen und Themen zu berücksichtigen, die innerhalb der Organisation umgesetzt werden sollen. Denn in der Zukunft wird das Thema „Lernen in Organisationen“ mehr denn je mit dem Change-Management verwoben sein und auch die Rolle von Führung wird sich stark verändern. Führungskräfte werden sich immer mehr als Lern- Architekten verstehen, die den Rahmen für Lernen, Ausprobieren und Forschen schaffen und begleiten.

 

Die 6 Axiome der Utopie des Lernens in Organisationen

  1. Die utopische Organisation lebt eine sinngebende Ausrichtung, die sich an der gesellschaftlichen Verantwortung orientiert!
  2. Entfaltung ist das Maß aller Dinge!
  3. Die utopische Organisation lebt eine umfassende Balance zu allen Beteiligten im Netzwerk!
  4. Damit dies gelingt, lebt sie den permanenten Austausch mit dem Umfeld und innerhalb der Organisation.
  5. Die utopische Organisation versteht Lernen als schöpferisch, kreatives Gelingen.
  6. Führung schafft den Rahmen für schöpferisches Gestalten und wird als dynamischer Prozess verstanden und gelebt.

 

Im Folgenden wird jedes Axiom ausführlich erklärt:

  1. Die utopische Organisation lebt eine sinngebende Ausrichtung, die sich an der gesellschaftlichen Verantwortung orientiert!

Lernen sollte helfen, die Zukunft zu gestalten. Da wir mit allem verbunden sind, stellt die utopische Organisation die gesellschaftliche Gesamtverantwortung in den Vordergrund und zieht hieraus einen Sinn. Lernen ist also weniger auf ein theoretisches Lernen ausgerichtet – auch, wenn dies immer ein Teil des Lernens sein wird und kann. In diesem Axiom wird Lernen als ein Prozess des Erschaffens gesehen, der für die Gesellschaft Sinn macht.

  1. Entfaltung ist das Maß aller Dinge

Die utopische Organisation stellt den Lernprozess in den Vordergrund. Wenn alle lernen und sich entfalten können, entfaltet sich auch die Organisation und die Gesellschaft. Lernressourcen werden also nicht mehr als Folge von wirtschaftlichem Erfolg bereitgestellt, also nach dem Grundsatz, in diesem Jahr können wir uns 1 Mio. Euro für Personalentwicklung leisten. Die utopische Organisation stellt Lernen als grundsätzliche Investition in den Vordergrund, um zukünftigen Erfolg zu erlangen.

  1. Die utopische Organisation lebt eine umfassende Balance zu allen Beteiligten im Netzwerk

Wer ist das Netzwerk? Hierzu zählen nicht nur die Stakeholder innerhalb der Organisation, sondern auch der Wettbewerb, die Natur, die Familien – es geht darum, die Welt als Stakeholder zu begreifen und mit ihr in einen Ausgleich zu kommen. Dies wird bei allen Lernprozessen berücksichtigt.

  1. Damit dies gelingt, lebt sie den permanenten Austausch mit dem Umfeld und innerhalb der Organisation

Die Kommunikation auf Augenhöhe innerhalb und außerhalb der Organisation erfordert eine radikale Offenheit und Transparenz. Erfolge, Fehler, Konflikte, Forschungsfortschritte werden transparent gemacht. Lernen im gesellschaftlichen Sinne kennt auch hier keinen Patentschutz, sondern Ideen werden geteilt und weitergegeben. Wer Wissen teilt und weitergibt, fördert weltweites Lernen und somit auch den weltweiten Fortschritt.

  1. Die utopische Organisation versteht Lernen als schöpferisch, kreatives Gelingen

Du kannst nicht Lernen, alles was wir tuen wird zum Lernen. In der utopischen Organisation hat der Einzelne, aber auch die Teams eine große Möglichkeit Fehler zu machen und sich auszuprobieren. Lernen wird dabei ein spielerischer Prozess, der Spaß macht. Die Organisation schafft hierfür räumlich und zeitlich einen großen Rahmen, um neugierig zu forschen.

  1. Führung schafft den Rahmen für schöpferisches Gestalten und wird als dynamischer Prozess verstanden und gelebt

Es besteht in dieser Organisation kein Unterschied mehr zwischen Arbeiten und Lernen. Führung konzentriert sich weniger auf die Produktion von richtigen Ergebnissen, diese Kontrolle übernimmt der Markt. Die Führung versteht sich immer stärker als Lernarchitekt/-in, fördert Lernprozesse, Fehler- und Forscherkultur. Dabei geht es darum ein dynamisches Lernklima in der Organisation zu schaffen, dass auch Chaos-Phasen und freies Denken ermöglicht.

 

Ein Artikel von

Von Klaus Kissel – ausgehend von einer Sitzung des wissenschaftlichen Beirates von ifsm im Juni 2021